Kognitive Voreingenommenheit bei forensischen Sachverständigen: Wie man sie minimiert

Kognitive Voreingenommenheit

Kognitive Voreingenommenheit in der forensischen Wissenschaft ist kein abstraktes Konzept, sondern ein schleichender Virus, der im schlimmsten Fall ganze Rechtssysteme infizieren kann. Um die Wirkungsweise dieses heimtückischen Phänomens greifbarer zu machen, schauen wir uns einige Beispiele an, die die potenziellen Auswirkungen kognitiver Verzerrungen in der Praxis verdeutlichen.

Nehmen wir etwa den Fall von Brandon Mayfield, einem Anwalt aus Oregon, dessen Leben 2004 ins Chaos stürzte, als das FBI ihn fälschlicherweise mit den Madrider Zuganschlägen in Verbindung brachte. Ein latenter Fingerabdruck, der am Tatort gefunden wurde, wurde mit Mayfields Abdrücken verglichen und führte zu seiner Verhaftung. Der Fehler lag jedoch nicht im technischen Verfahren selbst, sondern in einer Voreingenommenheit, die durch frühere Fehlinformationen und Annahmen getriggert wurde. Die Ermittler hatten schlichtweg eine Verbindung hergestellt und Briefe in ihrer Hypothese geschrieben, noch lange bevor die Prüfungen offiziell beendet waren. Erst als die spanische Polizei später den wahren Täter identifizierte, konnte Mayfield entlastet werden.

Ein weiteres berühmtes Beispiel ist der spektakuläre Fall von Richard Jewell. Während der Olympischen Spiele 1996 in Atlanta wurde Jewell, ein Wachmann, zum Helden, als er einen Sprengsatz entdeckte und viele Menschenleben rettete. Doch bald darauf wandelte sich sein Heldentum in einen Albtraum, als die öffentliche Meinung und Medienberichterstattung, sowie voreingenommene Ermittlungshypothesen, ihn zum Verdächtigen erklärten. Kognitive Verzerrungen, durch frühere polizeiliche Profile und die Sensationsgier der Medien angeheizt, führten zu seiner Verhaftung. Das wahre Seltsamkeit daran: Später wurde festgestellt, dass er tatsächlich unschuldig war.

Diese Beispiele verdeutlichen, wie wichtig es ist, Methoden zu entwickeln, um solche Verzerrungen zu minimieren. Schulungen und Sensibilisierungskampagnen sind essentiell, da sie Fachleute dazu anregen, ihre Denkmuster ständig zu hinterfragen. Psychologen haben demonstriert, dass das Bewusstsein für kognitive Verzerrungen selbst einen signifikanten Unterschied macht. Laut einer Studie von Kahneman und Tversky sind professionelle Schulungen geeignet, um die Tendenz zu solchen Fehlern deutlich zu reduzieren. Wenn forensische Experten lernen, wie ihre Entscheidungen unbewusst beeinflusst werden, können sie ihre eigene Objektivität besser wahren.

Ein ebenfalls kritischer Schritt ist die Standardisierung von Verfahren. Der Richard Jewell-Fall zeigte deutlich, dass improvisierte und inkonsistente Ermittlungsmethoden den Boden für kognitive Verzerrungen bereiten. Mit präzisen Protokollen und festen Richtlinien können Analysen systematisch und weniger anfällig für unbewusste Vorurteile durchgeführt werden. Die DNA-Analyse, einst durch Missbrauch ihrer Ergebnisse kritisch diskutiert, wurde durch eine Standardisierung ihrer Verfahren zu einer der zuverlässigsten Methoden in der Forensik.

Die Anonymisierung von Informationen stellt eine weitere Schutzmaßnahme dar. In einem Experiment aus dem Jahr 2015 ließ der forensische Psychologe Itiel Dror Sachverständige Tatortfotos ohne Hintergrundinformationen untersuchen. Als diese Sachverständigen sich ausschließlich auf die physischen Beweise konzentrierten, und nicht etwa auf den sozialen Kontext oder die Geschichte der Verdächtigen, verringerten sich die Fehlerquoten dramatisch. Die Experten wurden quasi befreit von den unsichtbaren Fäden der Erwartung und Suggestion.

Die Implementierung von unabhängigen Überprüfungsmechanismen kann ebenfalls eine bedeutende Verteidigungslinie gegen kognitive Voreingenommenheit darstellen. Ein berühmter Fall zeigt das deutlich auf: Im Fall der Central Park Five wurden fünf Jugendliche fälschlicherweise für einen Überfall in New York City verurteilt. Jahre später konnte durch unabhängige DNA-Analysen ihre Unschuld bewiesen werden. Hätte es bereits im Ursprung des Falles eine solche unabhängige Überprüfung gegeben, wären die fatalen und voreingenommenen Entscheidungen vermieden worden.

Zum Schluss sei noch die Offenlegung von Interessenkonflikten betont. Tatsache ist, dass nicht alle forensischen Experten dermaßen unvoreingenommen sind, wie es sein sollte. In einem Bericht des US Department of Justice aus dem Jahr 2009 wird festgestellt, dass etwa zwei Prozent der untersuchten kriminalistischen Überprüfungen Einflüssen von Interessenkonflikten unterworfen waren. Dies verdeutlicht die Notwendigkeit einer transparenten Praxis. Wenn Sachverständige ihre Berichte ohne jegliche Hintergedanken verfassen, kann der Gerechtigkeit besser gedient werden.

Diese Exempel zeigen uns eines: Die kognitive Voreingenommenheit ist der Elefant im Raum der forensischen Wissenschaft. Sie ist präsent, auch wenn wir sie nicht auf den ersten Blick sehen, und ihre Schatten können lang und verderblich sein. In den weisesten Worten liegt die Lektion verborgen, dass selbst die perfekte Methodologie illuminiert werden muss: Sie ist „bias“ und dies bedingt kein „Buy us“ in der Lexik der Gerechtigkeit.

Kognitive Voreingenommenheit beschreibt den Umstand, wenn unbewusste Denkmuster und Vorurteile die Entscheidungsfindung beeinflussen. Im forensischen Kontext kann dies dazu führen, dass Sachverständige ihre Analyse und Interpretation von Beweismaterial in eine bestimmte Richtung lenken, die ihre persönlichen Überzeugungen oder Erwartungen bestätigt.

Um kognitive Verzerrungen bei forensischen Sachverständigen zu minimieren, können folgende Maßnahmen ergriffen werden:

  1. Schulung und Sensibilisierung: Forensische Fachleute sollten regelmäßig in den Bereichen der kognitiven Verzerrung und Entscheidungsfindung geschult werden. Dies hilft, das Bewusstsein für mögliche Voreingenommenheiten zu schärfen und fördert ein kritisches Hinterfragen der eigenen Annahmen.
  2. Standardisierung von Verfahren: Durch die Einführung standardisierter Verfahren und Protokolle kann die Objektivität der Analyse verbessert werden. Dies hilft, den Einfluss von persönlichen Vorlieben und Erwartungen auf die Entscheidungsfindung zu begrenzen.
  3. Anonymisierung von Informationen: Wenn möglich, sollten Sachverständige die analysierten Proben ohne Kenntnis von Hintergrundinformationen zum Fall erhalten. Dies verhindert, dass ihr Urteil von irrelevanten Faktoren beeinflusst wird.
  4. Unabhängige Überprüfung: Die Einrichtung von unabhängigen Überprüfungsmechanismen, wie etwa einer Zweitbegutachtung durch einen anderen Experten, kann dazu beitragen, Voreingenommenheit aufzudecken und mögliche Fehler zu korrigieren.
  5. Offenlegung von Interessenkonflikten: Sachverständige sollten mögliche Interessenkonflikte offenlegen, um die Unparteilichkeit und Transparenz ihrer Arbeit sicherzustellen.

Kognitive Voreingenommenheit ist eine menschliche Schwäche, die sich nicht vollständig eliminieren lässt. Dennoch ist es von entscheidender Bedeutung, dass forensische Sachverständige und die Justiz gemeinsam daran arbeiten, ihre Auswirkungen zu minimieren. In einem weiteren Artikel werden wir uns eingehender mit diesem Thema beschäftigen und vertiefende Informationen bereitstellen. In der Forensik und in der Welt eines neutralen Sachverständigen hat Voreingenommenheit nichts verloren. Aus eigener Sicht darf ich hier schreiben, dass nur ein geringer Teil der Sachverständigen wirklich “neutral” und nicht geistig vergiftet ist. Allein die Tatsache, dass man meist die komplette Gerichtsakte erhält, mit all den “weniger neutralen Informationen und Rückschlüssen” der Ermittler und Staatsanwälte, lässt mich ein lautes “Hallo” in die Gemeinde schreien.

— George A. Rauscher am 08. April 2023

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Quellen für diesen Beitrag: Kahneman, D. (2011). Schnelles Denken, langsames Denken. Penguin Books.Risinger, D. M., Saks, M. J., Thompson, W. C., & Rosenthal, R. (2002). The Daubert/Kumho implications of observer effects in forensic science: hidden problems of expectation and suggestion. California Law Review, 90(1), 1-56.Dror, I. E. (2016). A hierarchy of expert performance. Journal of Applied Research in Memory and Cognition, 5(2), 121-127.Kassin, S. M., Dror, I. E., & Kukucka, J. (2013). The forensic confirmation bias: Problems, perspectives, and proposed solutions. Journal of Applied Research in Memory and Cognition, 2(1), 42-52.US Department of Justice. (2009). Strengthening Forensic Science in the United States: A Path Forward. The National Academies Press.Dror, I. E., & Charlton, D. (2006). Why experts make errors. Journal of Forensic Identification, 56(4), 600-616.Thompson, W. C. (2011). What role should investigative facts play in the evaluation of scientific evidence? Australian Journal of Forensic Sciences, 43(2-3), 123-134.Saks, M. J., & Koehler, J. J. (2005). The coming paradigm shift in forensic identification science. Science, 309(5736), 892-895.Holiday, T., & Goldstein, A. J. (2013). Forensic science reform: Improving the standardization of laboratory practices. Journal of Forensic Sciences, 58(2), S20-S28.Mnookin, J. L., et al. (2010). The need for a research culture in the forensic sciences. UCLA Law Review, 58, 725-779.Ioannidis, J. P. A. (2005). Why most published research findings are false. PLOS Medicine, 2(8), e124.Castellano, R., & Koen, R. (2014). The impact of technology on forensic technique. Science & Justice, 54(2), 142-149.