Forensische Gesichtsrekonstruktion
(Identifizierung bei Skelettfunden)
Meine Königsdisziplin, die forensische Gesichtsrekonstruktion, ist eine Wiederherstellung des Gesichts eines Individuums aus seinen Skelettresten durch die Symbiose von Kunst, Anthropologie, Osteologie und Anatomie. Da sich bisher auch viele Künstler ohne jegliches anatomisches Fachwissen darin versuchten, gehörte es in der Vergangenheit zu den umstrittensten Techniken im Bereich der forensischen Anthropologie.
Trotz dieser Kontroverse hat sich die Gesichtsrekonstruktion in der Vergangenheit häufig genug als erfolgreich erwiesen, sodass Forschung und methodische Entwicklung laufend vorangetrieben werden. Man unterscheidet zwischen folgenden Anwendungstechniken:
Zweidimensionale Gesichtsrekonstruktionen
Basierend auf Fotos und dem Schädel des jeweiligen Individuums. Gelegentlich werden hier auch Röntgenaufnahmen des Schädels verwendet, was aber nicht ideal ist, da viele Schädelstrukturen nicht sichtbar oder nicht im richtigen Maßstab vorhanden sind. Eine häufig verwendete Methode der 2D-Rekonstruktion wurde in den 1980er-Jahren von Karen T. Taylor aus Austin, Texas, entwickelt. Bei Taylors Methode werden Gewebetiefenmarker an verschiedenen morphologischen Orientierungspunkten auf den Schädelknochen platziert und der Schädel anschließend fotografiert. Lebensgroße Frontal- und Lateralaufnahmen werden dann als Grundlage für Gesichtszeichnungen verwendet. Die kürzlich entwickelten Computerprogramme F.A.C.E. und C.A.R.E.S. erzeugen schnell zweidimensionale Ansichten, die relativ einfach bearbeitet und angepasst werden können. Diese Programme können dazu beitragen den Rekonstruktionsprozess zu beschleunigen, und erlauben es, subtile Variationen auf die Zeichnung anzuwenden, obwohl sie eher generische Bilder erzeugen als handgezeichnete Kunstwerke.
Dreidimensionale Rekonstruktionen
Diese Anwendungsmethode gleicht im Endprodukt einer Skulptur (aus Abgüssen von Schädelresten), die mit Knetmasse und anderen Materialien hergestellt wurde. In manchen Situationen bevorzuge ich diese Art der Rekonstruktion, da sie mir persönlich detailliertere Ergebnisse liefert. Aktuell teste ich eine neue Technik der dreidimensionalen Rekonstruktion, hierbei wird der Schädel mit einem 3-D Scanner gescannt und das Gesicht anschließend mittels Software rekonstruiert. Die KI übernimmt die Positionierung der Marker eigenständig und geht ebenso auch auf die Variabilität des Ernährungszustandes ein. Diese so erstellten Gesichter sind bei der Identifizierung von Opfern derzeit am effektivsten. Sie wirken nicht allzu künstlich und ähneln einem lebenden Menschen am ehesten. Mittels der Software FaceGen Modeller können die Gesichter importiert und im weiteren Verlauf weiter optimiert und angepasst werden.
Abgleich mittels Superimposition
Diese Technik bezeichne ich nicht als Gesichtsrekonstruktion, sondern vielmehr als forensischen Abgleich zwischen teilweise wiederhergestellten Schädelknochen, Röntgenbildern oder Fotos. Diese setzt jedoch voraus, dass im Rahmen der Ermittlungen bereits Kenntnisse über die mögliche Identität der Person vorliegen. Hier überlagert man vorhandene Informationen, indem ein Foto eines Individuums, das zu den nicht identifizierten Skelettresten gehört, über ein Röntgenbild des unbekannten Schädels gelegt wird. Wenn der Schädel und das Foto von der gleichen Person stammen, sollten die anatomischen Merkmale des Gesichts genau übereinstimmen. Meist visualisiere ich dies bereits vorab in Sekundenschnelle. Im jahrzehntelangen Umgang mit Menschen, Schädeln und Gesichtern entwickelt das Gehirn mittels Neuroplastizität die Fähigkeit, sich beim Anblick eines menschlichen Schädels das dazugehörige Gesicht vorzustellen und umgekehrt.
Unter neuronaler Plastizität versteht man die Eigenart von Synapsen, Nervenzellen oder auch ganzen Hirnarealen, sich zwecks Optimierung laufender Prozesse nutzungsabhängig in ihrer Anatomie und Funktion zu verändern.
Einsatzmöglichkeiten
Wenn ein Schädel zufällig aus einem Garten, Wald etc. geborgen wird, ist eine positive Identifizierung erforderlich. Dies ist nicht nur für rechtliche Zwecke wichtig, sondern hilft auch der Familie, ihre Trauer zu überwinden und ein Gefühl des Abschlusses zu erlangen. In solchen Fällen, in denen traditionelle Methoden der Identifizierung wie z. B. Zahnuntersuchungen, Röntgenaufnahmen, DNA-Analysen usw. nicht verwendet werden können oder aufgrund von Problemen wie Mangel an geeigneten Informationen, Zustand der Überreste, Kosten usw. nicht möglich sind, kann eine forensische Gesichtsrekonstruktion durchgeführt werden. Die angewandte Methode kann als wichtiges forensisches Hilfsmittel eingesetzt werden, das bei der Gesichtserkennung des Schädels helfen und letztendlich zur positiven Identifizierung einer Person beitragen kann.
Forensische Gesichtsrekonstruktion ist eine Kombination aus wissenschaftlichen Methoden und künstlerischem Geschick. Sie kann verwendet werden, um die Weichteile des Schädels zu rekonstruieren, um das Bild einer Person für ihre Erkennung und Identifizierung darzustellen.
Die forensische Gesichtsrekonstruktion wird sowohl in der forensischen Wissenschaft als auch in der Archäologie eingesetzt (Abb. oben: Rekonstruktion eines alten Römers anhand eines Schädels, 800 AD, ©2021 George Rauscher). In der Forensik wird diese Methode bei der Identifizierung einer Person eingesetzt, wenn die konventionellen Methoden der Identifizierung erfolglos sind. In der Archäologie wird sie zur Identifizierung von Gesichtern von Menschen aus der Vergangenheit, Knochenresten, einbalsamierten Körpern usw. verwendet.
Das Gesicht einer Person verfügt über eine hohe Anzahl morphologischer Merkmale und ist daher bei der Identifizierung und Erkennung einer Person von großer Bedeutung. Wenn eine nicht identifizierte Leiche gefunden wird, wird ein Gesichtsfoto erstellt.
Ist dieses bereits durch ein hohes Maß an Verletzung oder Verwesung entstellt, ist dieses vorher digital zu bearbeiten. Erst dann ist es für den Zeugen zur Identifizierung oder für die Zeitung zur Veröffentlichung geeignet, was letztendlich zur Identifizierung der Leiche führen kann.
Die Familie des Opfers, Freunde und/oder Bekannte müssen das Opfer letztendlich visuell identifizieren, und der einzige Körperteil, zur Identifizierung freigelegt wird, ist das Gesicht. Manchmal kann eine Leiche nicht identifiziert werden, da das Gesicht aufgrund von Zerstörungen durch Tiere, physischen Angriffen oder Verwesung durch Umweltfaktoren nicht erkannt werden kann. Die forensische Gesichtsrekonstruktion ist eine alternative Methode im Identifizierungsprozess, wenn wenig oder keine anderen Beweise zur Verfügung stehen.
(Zuletzt überarbeitet am 13. Mai 2021)